aus dem Maschek-Buch “Satire darf al” (Czernin Verlag, Wien 2018)
Robert Stachel besucht Lotte Tobisch-Labotýn in ihrer Wohnung an der Wiener Ringstraße und zeigt ihr auf seinem Notebook die Folge „Witwe Lirsch im Park“ aus der Serie maschek.in.ruhe. Man redet über den Sinn von Konventionen, über den Spaß am Altwerden und über die Hetz, die die Leute mit Donald Trump haben.
An den Wänden hängen Dutzende Bilder, die Lotte Tobisch mit Persönlichkeiten zeigen, die von Maschek schon synchronisiert wurden. Am Tisch im Salon steht Kaffee bereit, dazu Weihnachtsgebäck, obwohl draußen Hochsommer ist.
Lotte Tobisch: Essen Sie nur, das Weihnachtsgebäck ist ganz frisch. Ich bekomme es von einem Bäcker, der es das ganze Jahr über anbietet. Warum sollte man so etwas Gutes nur einmal im Jahr essen?
Robert Stachel: Da haben Sie vollkommen recht.
Frau Tobisch, Sie teilen Ihr Geburtsjahr nicht nur mit der englischen Königin und mit Marilyn Monroe, sondern auch mit dem Rabenhof, wo man Sie fast in jeder Premiere sieht.
LT: Ich bin begeistert vom Rabenhof. Vom Theater, aber auch vom Gemeindebau rundherum. Ich hab das ganze Ambiente gerne, und es sind junge Menschen dort. Die Alten kann ich nicht mehr sehen, alt bin ich selber. Und meistens ist das Stück auch noch gut.
RST: Wir haben uns in den letzten zwanzig Jahren fast jedes Jahr über den Opernball hergemacht. Es ist für uns das perfekte Material, wenn alle Repräsentanten aus Politik und Gesellschaft auf einem Fleck versammelt sind und sich diesem Ritual hingeben. Sie haben lange den Opernball organisiert. Finden Sie Konventionen dieser Art heute noch wichtig?
LT: Ach, mir würde ja genügen, wenn sich die Leute wieder benehmen und nicht ständig mit dem Arsch ins Gesicht fahren. Man sollte schon möglichst die Wahrheit sagen, aber in der Politik und der Diplomatie gibt es Regeln. Und das Gegenteil von Wahrheit sagen ist eben nicht lügen, sondern den Mund halten. Im Kabarett können Sie gerne die Wahrheit sagen, aber im Zwischenmenschlichen geht das nicht immer.
RST: Sind diese Umgangsformen also ein Garant für den sozialen Frieden?
LT: Ja, denn das bedeutet Konvention: Vereinbarungen treffen, sich zusammenraufen. Der Opernball ist einer der letzten Orte, wo es überhaupt noch eine Kleiderordnung gibt. Klar könnte man sagen: Was braucht man eine Krawatte, wenn man zum Papst geht? Da kann man ja im Ruderleiberl hingehen, nota bene beim Franziskus, der aus den Slums kommt. Als die Bundesregierung beim Papst war, ist der damalige SPÖ-Klubobmann Cap seinerzeit ohne Krawatte hingegangen. Der Papst wird sich nicht gekränkt haben. Aber wem imponiert das, wenn einer sagt, ich geh zum Papst ohne Krawatte? Dem Stammtisch im Café Gutruf vielleicht. Oder als Prinz Charles letztes Mal nach Wien kam: Alexander Van der Bellen war gerade ein paar Tage im Amt. Dresscode beim Staatsbankett in der Hofburg war „Black Tie“, alle kamen im Smoking und mit Mascherl, nur der Bundespräsident hatte einen schwarzen Schlips umgebunden.
RST: Vielleicht hat er nicht gewusst, dass Black Tie schwarzes Mascherl bedeutet?
LT: Dem Thronfolger der britischen Krone ist das ja auch wurscht, aber stellen sie sich vor, das passiert bei Kim Jong Un. Der könnte gleich so beleidigt sein, dass es zum Casus Belli wird. Also sind Vorschriften bitte einzuhalten und nicht zu brechen. Weil die haben auch einen Grund. Das Kabarett hat die Aufgabe, die Wahrheit zu sagen, aber ins tägliche Leben sollte man das nicht umsetzen.
RST: Bei unseren Puppenstücken im Rabenhof haben wir immer sehr grobschlächtig gearbeitet. Weil die Handpuppen auch keine Mundbewegungen haben mussten sie sich die Politiker ständig hauen. Dem Publikum gefiel das. Mögen die Leute es grob?
LT: Ja! Warum ist Trump Präsident geworden? Die Hillary ist eine Oberlehrerin, die Leute kannten sie seit Jahrzehnten. Alle Etablierten gehen den Leuten nach einer Zeit auf die Nerven, auch wenn sie gut sind. Das haben wir auch bei Kreisky erlebt, dass die Leute gesagt haben: Jetzt ist es genug.
Dann muss eben ein Neuer kommen wie der Trump, der muss nur die Goschen aufreißen und sagen, dass die andere alle Trotteln sind, jetzt kommt „America First“. Die Leute kommen von der Arbeit nach Hause und haben eine Mordshetz.
RST: Die sind einfach begeistert über die Show?
LT: Natürlich sind sie begeistert. Die Leute sind so. Sie waren ja auch vom Hitler begeistert. Karl Marx hat gesagt: „Alle Revolutionen haben bisher bewiesen, dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen.“ Wenn auf jemanden geschimpft wird, ist es immer eine Hetz, Wenn man einen Sündenbock braucht, findet sich immer einer. Ich hab die Juden gesehen, die mit der Zahnbürste die Straße aufwischen mussten. Und daneben Leute, die das saukomisch fanden. Die gleichen Leute, die ein paar Wochen vorher noch freundlich gegrüßt haben. Ich komme aus einer Anti-Nazi-Familie, die gab es auch. Als ich im Gymnasium war, dachte ich, die Lehrer sind alle Nazis. Das waren sie natürlich nicht alle, aber ich habe grundsätzlich nichts geglaubt, was sie mir erzählt haben. Und dann erst nach der Schule im Laufe des Lebens gelernt.
RST: Zurück zu Ihrer heutigen Tätigkeit: Wie kamen Sie vom Opernball zum Künstlerheim?
LT: Den Opernball habe ich gerne organisiert, aber nach 15 Jahren habe ich mir gesagt: Ich bin jetzt 70 Jahre, und ich fühl mich nicht alt. Man muss wissen, wann es genug ist. Hätte ich es länger gemacht, hätte man gesagt, ich klebe an dieser Position. Heute lache ich mich tot über meinen Nachruhm. Die Leute sagen mir: Wir sehen uns ja heuer beim Opernball, Frau Tobisch. Dabei war ich seit 26 Jahren nicht mehr dort. Alle verbinden mich damit, und warum? Nur weil ich rechtzeitig gegangen bin. Wer zulange bleibt, schadet sich selber. Es gibt einen jüdischen Spruch, den ich liebe: “Von den Jahren alleine wird man auch älter.” Also dachte ich damals: Jetzt mach ich einen Kontrapunkt zum Opernball und bringe das Altersheim in Baden auf Touren, das schon sehr gewackelt hat. Es ist eine wunderbare Sache, etwas für die alten Weiber zu tun. Das sind arme Teufeln, nicht immer finanziell, aber sie sind alle einsam. Cissy Kraner hatte wohl Geld, aber niemanden mehr zum Reden. Es ist ein K.u.K Altersheim, eine einmalige Merkwürdigkeit.
RST: Mit der Serie maschek.in.ruhe wollten wir einerseits der Jugendkultur und andererseits dem Reality TV etwas entgegen setzen. Darf man sich auf diese Art lustig machen über die alten Leute?
LT: Man darf sich über jeden lustig machen. Aber die Geschichte mit der Witwe ist ausgezeichnet beobachtet. So sind die Leute. Erst füttern wir die Tauben, weil wir sie so lieb haben, dann essen wir sie – im übertragenen Sinn sagt das viel über uns Menschen aus.
RST: Wenn sie an das Künstlerwohnheim denken: Hat so ein Altersheim Potential für die Komödie?
LT: Nein, das ist dort nicht mehr lustig. Früher sind die Leute mit 75 gekommen und mit 80 gestorben. Aber heute geht man erst ins Heim, wenn man daheim nicht mehr zurecht kommt. Wenn die Ehepartner tot sind und die Kinder weiss Gott wo, dann kommen sie zu uns. Alles strengt sie an. Sie bekommen zu essen, werden gepflegt, man trifft sich zum Kaffee, erzählt sich irgendwas und schläft dabei ein. Die Alten interessieren sich nicht mehr so wie ich für den Unfug der heutigen Zeit.
RST: Sie orientieren sich lieber an der Jugend?
LT: Bei Goethe heißt es: „Dies ist der Jugend edelster Beruf: Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf!“ Ich komme mit jungen Leuten wunderbar aus, und sie mögen mich auch. Ich habe das größte Verständnis für die Jugend. Sonst wäre alles alt und man würde total vergreisen.
Lotte Tobisch-Labotýn, geboren 1926 in Wien, ist Schauspielerin und leitete von 1980 bis 1996 den Wiener Opernball. In den letzten zwanzig Jahren war sie Präsidentin des Künstlerheims Baden, einem Wohnheim für betagte Künstlerinnen und Künstler. Frau Tobisch besuchte mehrere Premieren von Maschek und hat auch für die nächste bereits fix zugesagt.